Ein Haus in der Leopoldstadt

Stellen Sie sich vor, Sie sind seit 35 Jahren Mieter einer Wohnung in der Leopoldstadt. In früheren Zeiten, als das Haus noch voll vermietet war, hatten Sie und die anderen Mieter/innen ein gutes Verhältnis zur Hausinhabung und sogar freiwillig höhere Mieten für die Erhaltung und Renovierung des Hauses bezahlt.

Dann, vor einigen Jahren,  beschließt eine neue Eigentümerin, ihr Vermögen zu vermehren – durch Spekulation mit dem Haus. Arbeitsloses Grundeinkommen der anderen Art. Dafür muss man die nunmehr unnötigen Mieter/innen los werden.

Wie macht man das? Man lässt das Haus zusehends verfallen, schreibt die Mieten überhöht vor, vermietet frei werdende Wohnungen entweder gar nicht mehr oder nur mehr mit befristeten Zeitmietverträgen.

Irgendwann steigt das Unsicherheitsgefühl der meisten Bewohner/innen so stark, dass ein Großteil freiwillig das Weite sucht. Jedoch Sie und eine andere Mietpartei des Hauses, die hier immerhin auch schon 12 Jahre wohnt, wollen sich nicht vertreiben lassen und bleiben weiter in Ihren Mietwohnungen.

Also wird das Haus noch einmal an eine Immobiliengesellschaft verkauft.

Rein zufällig ereignen sich in Ihrer Wohnung Wasserschäden, die nicht behoben werden können, Sie bekommen nach dem Briefkastenwechsel keine Postschlüssel mehr, der Keller muss gesperrt werden, das Haustor lässt sich nicht mehr schließen. Wenn Sie in den Hof gehen, müssen Sie froh sein, dass Sie sich nicht den Fuß brechen – und nachts klopfen minutenlang Leute an die Wohnungstür und wollen mit Ihnen über Ihren Mietvertrag sprechen. Die Wohnungseingangstüren werden mit Sprayfarben beschmiert.

Sie haben noch immer nicht genug?

Die Hausinhabung deckt Sie als nächstes mit Gerichtsklagen und erfundenen Kündigungsgründen ein.
Gleichzeitig haben die neuen Eigentümer auch ihre soziale Ader entdeckt und ein ehemaliges Geschäftslokal im Haus einem Verein überlassen, der sich aus Außenseitern rekrutiert, deren alternativer, punkiger, und manchmal auch lärmender Lebenswandel für Sie ziemlich ungewohnt ist und Ihnen Angst macht. Anfangs scheint die Rechnung aufzugehen. Zu unterschiedlich sind die Lebensgewohnheiten.

Aber die Dinge entwickeln sich manchmal anders als man glaubt.

Die Mitglieder und Besucher des Sozial- und Kulturvereins verstehen rasch, dass sie als Instrument der Ausmietung anderer gedacht waren und zeigen einen Beschützerinstinkt, mit dem Sie nicht gerechnet haben.

Wenn es in der Nacht wieder an der Tür bumpert, sind die Punks zur Stelle und verscheuchen den nächtlichen ungewollten Besuch. Ein auf Wohnrecht spezialisierter Bezirksrat unterstützt die neuen und alten Bewohner des Hauses mit Informationen über ihre Rechte und macht ihnen Mut, sich nicht willkürlich vertreiben zu lassen.

Dumm gelaufen für die Hausinhabung? So schnell geben Spekulanten nicht auf. Es gibt ja immer noch ärmere Leute, die man gegen andere ausspielen kann.

Also schickt man ungarische Bauarbeiter ins Haus und gibt diesen die Anweisung, die Hauseingänge zuzumauern und Schlösser zu wechseln.

Die Bewohner lassen sich nicht provozieren, und verständigen die Polizei. Die Polizei weiß auch nicht so recht, darf der Hauseigentümer nun sein eigenes Haus zumauern und die Bewohner ein- oder ausmauern? Also lässt man vorerst die Bauarbeiter gewähren.

Die Punks verständigen besorgt den Bezirksrat Josef Iraschko (KPÖ), der noch am selben Abend zur Stelle ist, und der Polizei langwierig erklärt, dass die Arbeiten nicht nur zivilrechtlich unzulässig sind, sondern auch strafrechtlich fragwürdig. Die Aktion der Hausinhabung findet so doch noch um 2:30 Uhr früh ihr Ende.

Wir aber fragen uns: Was wäre mit dem Haus und seinen Bewohnern geschehen, wenn nicht eine Gruppe couragierter Menschen Haltung bewiesen hätte? Was wäre passiert, wenn nicht der im Wohnrecht spezialisierte Bezirksrat nachts in seiner Freizeit, der Polizei begreiflich gemacht hätte, dass hier mit Gewalt die elementarsten Rechtsgrundsätze gebeugt werden?

Ja klar, ein paar Punkern die Bude zumauern, das regt in heutigen Zeiten nicht viele auf. Dass diese Leute aber der wichtigste Faktor waren, den langjährigen Mietern ein Sicherheitsgefühl gegen Vermieterwillkür zu geben, kann nicht oft genug gesagt werden. Und es sollte auch gesagt werden, dass mutige Bezirkspolitiker, wie Josef Iraschko, für den Zusammenhalt eines Gemeinwesens wichtiger sind, als manch andere, die mit ihren vermeintlichen Wirtschaftsrezepten nur der Brutalisierung der Gesellschaft den Weg ebnen.

Update vom 28.7.2014: Obiger Eintrag erschien auf der Hompepage des Mieterschutzverbandes Wien anlässlich der ersten Eskalationsphase am 6.8.2012. Heute, am 28.7.2014, findet die von der Eigentümergesellschaft bewirkte gerichtliche Zwangsräumung der „Pizzeria“ statt. Dem Vernehmen nach sind 1.700 Polizeikräfte im Einsatz.